Fumeux fume par fumée

Furrer, Fenn und Solage - Alte und Neue Vokalmusik in der Otto Wagner-Kirche

22. April 2018, 18 Uhr 

 

Otto Wagner-Kirche (Kirche am Steinhof)

Baumgartner Höhe 1 | 1140 Wien

 

 

G e s p r ä c h s k o n z e r t

 

mit Cantando Admont und Mats Scheidegger Collective

 

Clemens Nachtmann im Gespräch mit Beat Furrer

und Prof. Dr. Melanie Wald-Fuhrmann (Max Planck-Institut für empirische Ästhetik; Frankfurt am Main)

 

EINTRITT : Freie Spende

 

 

K O N Z E R T P R O G R A M M

 

Solage (um 1400)

Fumeux fume par fumée

En l’amoureux vergier

S'aincy estoit

Calextone qui fut

Très gentil cuer


Beat Furrer (*1954)

fragmentos de un libro futuro für Sopran und Gitarrenquartett

…y una canción desesperada für 3 Gitarren


Nirmali Fenn (*1979)

Friede [UA]

[neu komponiertes Werk in Auseinandersetzung mit der Räumlichkeit der Kirche für eine Frauenstimme und drei Männerstimmen]

 

 

CANTANDO ADMONT

Sopran: Jerilyn Chou

Tenor: Bernd Lambauer

Bass: Ulfried Staber

Bass: Gerd Kenda

Musikalische Leitung: Cordula Bürgi

 

Mats Scheidegger Collective

John-Robin Bold

Marisa Minder

Zsombor Sidoo

Musikalische Leitung: Mats Scheidegger

 

 

Eine Veranstaltung von .akut und Cantando Admont, Vokalensemble für Alte bis Neue Musik

Musikalische Leitung: Cordula Bürgi und Mats Scheidegger, kuratiert von Gabriele Geml und Han-Gyeol Lie

Mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung, der Alban Berg Stiftung, der Stadt Wien und der Kulturabteilung des Landes Steiermark

 

Hintergrund

 

2018 jähren sich zum einhundertsten Mal die Todestage zweier Protagonisten der Wiener Moderne; die Todestage von Otto Wagner (1841 – 1918) und Koloman Moser (1868 – 1918). Gemeinsam waren sie mit der Gestaltung der Kirche »Hl. Leopold« der seinerzeitigen niederösterreichischen Nervenheilanstalt »Am Steinhof« befasst; eines der bedeutendsten Sakralbauten des Jugendstils. Die fernhin sichtbare, die Bäume des Wienwalds überstrahlende goldene Kuppel der Kirche trug der Anhöhe über dem heutigen Otto Wagner-Spital in der Wiener Bevölkerung den polemisch-liebevollen Namen »Lemoniberg« ein. Entsprechend ihrer Funktion als Spitalskirche war die Einrichtung der Kirche durch praktische Überlegungen geleitet. Jene pragmatischen Aspekte verbanden sich mit einer lichtdurchfluteten und dabei spannungsvoll puristisch-prächtigen Form, die den Kranken und Verzweifelten in dunklen Zeiten eine heilungsfördernde Zuversicht zu geben imstande sein sollte.

 

Das Konzert am 22. April versteht sich als eine Hommage an den humanen Geist, von dem die Wiener Moderne in ihren bedeutenden Werken getragen war. Gedacht werden soll jedoch insbesondere  auch jener unterdessen etwas aus der Mode gekommenen sozialreformerischen Haltung, die ein Therapiezentrum für seelisch leidende und kranke, womöglich auch schlichtweg unangepasste Menschen in einem wunderschönen Park von der Größe des ersten Wiener Gemeindebezirks situierte und mit ästhetisch anspruchsvollen Bauwerken wie einer Kirche und zwei Theatern versah. Mit diesem in seinen Ursprüngen eminent sozialen Projekt, das in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts geplant und realisiert worden war, in der Folge des realen Geschichtsverlaufs freilich alsbald zum Schauplatz inhumaner Verbrechen wurde, verbinden sich heute vergessene, in die Geschichtsschreibung nur unzulänglich eingegangene Namen wie die des damaligen Landesausschuss-Referenten Leopold Steiner (1857 - 1927) oder des Architekten Carlo von Boog (1857 - 1905}.

 

»Auf einer gegen den Galitzinberg sanft ansteigenden Höhe gelegen, wird die zu errichtende Anstalt eine herrliche Fernsicht über das ganze Wiener Gemeindegebiet, einen großen Teil des Marchfeldes und auf die schneebedeckten Gipfel des steirischen Hochgebirges bieten. [...] Gegen Norden hin ist das Anstaltsterrain durch ausgedehnte, der Gemeinde Wien gehörige Waldungen geschützt. Im Westen befindet sich das ungeheure Luftreservoir des kaiserlichen Tiergartens.«*

 

* [Aus dem Jahresbericht des Österreichischen Landesausschusses 1903/04, zit. n. Eberhard Gabriel: 100 Jahre Gesundheitsstandort Baumgartner Höhe. Von den Heil- und Pflegeanstalten Am Steinhof zum Otto Wagner-Spital. Mit einem Beitrag von  Sophie Ledebur, Wien: Facultas 2007, 27.]

 

 

 

 

Konzert

 

Fumeux fume par fumée – dieses ebenso bekannteste wie rätselhafteste Werk eines weitgehend unbekannten Komponisten namens Solage, der am Ende des 14. Jahrhunderts in Frankreich lebte und eine schmale Zahl von nur etwa zehn Werken hinterließ, die ihm gesichert zugeschrieben werden können, bildet den historischen Anknüpfungspunkt für das Konzert.

Eine Faszination geht von diesem Werk aus dem Chantilly-Codex nicht allein aufgrund der sogartigen kompositorischen Schwerkraft aus, die den Hörer in sequentiell absteigenden harmonischen Verläufen bis hinunter zum tiefen Des zieht; eine Tiefe, um die das Stück – ein Rondeau – selbstversunken zu kreisen scheint. Auf faszinierende Art kreist auch bereits der irritierend redundante Titel des Stücks in sich selbst – Der Raucher raucht durch den Rauch – ein Titel, dessen vordergründige tautologische Klarheit sich freilich umso mehr verrätselt, wenn man sich den kulturhistorischen Umstand vor Augen führt, dass der Tabak in Europa seinerzeit erst noch eingeführt werden sollte.

Eine sinnfällige Deutung des Stückes, die sich unter dem Titel »What did the Fumeurs smoke?« der Frage nach dem möglichen Substrat des Rauchs zuwendet, hat kürzlich Melanie Wald-Fuhrmann vorgelegt, und dabei den Begriff der Melancholie für ein Verständnis der Komposition und des in ihr thematischen wie musikalisch übersetzten Rauches geltend gemacht.** Der kreisend über sich selbst brütenden Musik beginnt sprichwörtlich der Kopf zu rauchen, in »fumeuse speculacion«, wie es in der Textvorlage wiederholt heißt.

 

Die Melancholie ebenso wie die experimentierende Suche nach neuen kompositorischen Ausdrucksformen verbinden das Werk von Solage mit den beiden im Rahmen des Konzerts zu hörenden Werken Beat Furrers, dessen kompositorisches Schaffen zuletzt mit dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet wurde.

Das frühe ... y una canción desesperada Beat Furrers bezieht sich auf die Veinte poemas de amor y una canción desesperada von Pablo Neruda. Die Melancholie des Titels findet ihren Ausdruck in der Form des Werkes: eine einzige Melodie (»cancion« ohne Begleitung) wird von drei Gitarren so gespielt, dass die 2. und 3. jeweils das Echo der 1. oder das Echo der 2. weiterführen und (durch die Scordatur der 2. und 3. Gitarre) harmonisch verändern, bzw. verzerren, wobei die Zeitlichkeit nicht an ein Metrum gebunden ist.

Fragmentos de un libro futuro  für Sopran und Gitarrenquartett geht von einem Text Angel Valentes aus und reflektiert nicht nur in der Besetzung, sondern auch in der Behandlung der Stimme Furrers Auseinandersetzung mit dem Flamenco, dessen zuweilen beinahe schmerzhafter Körperlichkeit und energiegeladenen, farbenreichen Stimme - voller Melancholie und Hingabe. »Lenta, muy lenta, muerte, en la belleza tan lenta del otono« (Langsam, sehr langsam, Tod, in der langsamen Schönheit des Herbstes).

 

Schall und Rauch: Bei beiden Phänomenen handelt es sich um besondere Formen der Ausbreitung im Raum, und beide sind gerade in Kirchen von besonderer Bedeutung; man denke an den Weihrauch und den Orgelwind. Gerade auch die Steinhof-Kirche ist für ihre besondere Akustik – den langen Nachhall von 6-8 Sekunden – bekannt und berüchtigt. Diesen Aspekt wird die in Sri Lanka geborene, australische Komponistin Nirmali Fenn in einem eigens für das Konzert komponierten Werk ausloten. Der künstlerische Schwerpunkt dieser Komponistin liegt spezifisch in der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Klang zu Raum: »As a composer, I am motivated by the idea that sound is one tool to give audiences the chance to experience the volume of space in which they exist. For me, life takes on a greater dimension when you are sonically aware of your environment.«

Als Hommage an Otto Wagners Bauwerk der Steinhof-Jugendstilkapelle wird sich Nirmali Fenn in ihrem neuen Stück für eine Frauen- und drei Männerstimmen mit der Architektur und den durch diese bedingten akustischen Gegebenheiten der Otto Wagner-Kirche auseinandersetzen.

 

** Vgl. Melanie Wald-Fuhrmann: What did the Fumeurs smoke? Solving a puzzle in ars subtilior music with the help of melancholy [Vortrag 2013; Artikel im Erscheinen].